Die kleinen Reporter: Was passiert, wenn Kinder plötzlich die Zeitung machen?

Was wären Zeitungen ohne ihre Leser? Und was wäre eine Zeitung ohne die Geschichten, die mitten aus dem Leben kommen? In einer Zeit, in der die Nachrichtenflut oft überfordernd wirkt und viele das Gefühl haben, dass die großen Medien ihre Anliegen nicht mehr wirklich aufgreifen, startete in Zürich ein Projekt, das genau das ändern sollte. Das Konzept war so einfach wie genial: Was, wenn Kinder die Redaktion übernehmen würden? Was würden sie schreiben? Welche Fragen würden sie stellen? Und vor allem: Was könnten wir Erwachsenen von ihnen lernen?

Pädagogisches Konzept

Genau diese Fragen standen am Anfang des „Kinder-Tagi“-Projekts, bei dem Grundschüler der 4. bis 6. Klassen aus Zürich eine eigene Zeitungsseite gestalten. Als journalistische Leiter begleiten Melanie Kollbrunner und Jean-Pierre Costa die jungen Reporter bei ihren Abenteuern. Ihre Aufgabe? Sie sind weder Lehrer noch strenge Vorgesetzte, sondern vielmehr Wegbereiter und Helfer. Sie erklären, wie man Themen aufbereitet, wie man ein Interview führt oder eine Reportage schreibt. Sie begleiten die Kinder zu Veranstaltungen, helfen beim Verfassen und Überarbeiten der Texte. Doch eine Sache ist ihnen dabei besonders wichtig: Die Authentizität der Kinderstimme muss unbedingt erhalten bleiben.

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Die redaktionelle Arbeit mit den Kindern ist ein kreativer und lebendiger Prozess, der sich deutlich von der klassischen Redaktionsarbeit unterscheidet. Zwar gibt es eine Themenliste, aus der die Klassen wählen können, aber die besten Geschichten entstehen oft dann, wenn die Kinder eigene Ideen einbringen. So wie der Artikel über „Schule früher und heute“, für den die kleinen Reporter Dorfälteste interviewten und ein Museum besuchten. Oder das Interview mit dem Rapper Bligg, das sich eine Klasse sehnlichst gewünscht hatte. Diese Themen, die direkt aus der Neugier der Kinder entstehen, sind oft die, die die Leser am meisten berühren und die zeigen, wie vielfältig die Perspektive der Kinder auf die Welt ist.

Melanie Kollbrunner und Jean-Pierre Costa sind sich einig, dass der kindliche Blick etwas ganz Besonderes ist. Die Texte, die dabei entstehen, haben einen eigenen Charme, einen unverwechselbaren Ton und eine bildhafte Sprache, die so nur von Kindern kommen kann. Sie wirken unverstellt, direkt und ehrlich. Jean-Pierre Costa bringt es auf den Punkt: Über 90 Prozent der Inhalte stammen von den Schülern. Und das ist auch gut so, denn es ist ihre Seite. Die Aufgabe der Redakteure ist es lediglich, die Texte behutsam zu redigieren, Grammatikfehler zu korrigieren und sicherzustellen, dass die Kinder nicht bloßgestellt werden – ohne aber ihre einzigartige Ausdrucksweise zu verwässern oder zu entstellen. Es geht nicht darum, Pulitzer-Preise zu gewinnen, sondern die Stimmen der Kinder hörbar zu machen.

Der Erfolg des Projekts gibt ihnen recht. Die Resonanz der Leser ist überwältigend positiv. Die Anmeldungen von Schulklassen übertreffen alle Erwartungen, sodass die Redaktion bereits auf Monate im Voraus ausgebucht ist. Der „Kinder-Tagi“ ist zu einer festen Größe geworden, die von den Lesern geschätzt wird. Die Entscheidung, das Projekt langfristig anzulegen, war daher genau richtig. Das Projekt soll den Kindern auch einen Einblick in die digitale Welt des Journalismus geben. Die Website wird gerade um einen Blog, Twitter-Funktionen und Einblicke hinter die Kulissen, wie beispielsweise Bilder von den Erlebnissen der Kinder, erweitert. Dies gibt den Lesern nicht nur die Möglichkeit, die Geschichten zu verfolgen, sondern auch zu sehen, wie sie entstanden sind.

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Für die beiden Journalisten ist die Zusammenarbeit mit den Kindern auch eine ständige Quelle der Inspiration. Sie lernen von ihnen, Themen mit einer ganz neuen Neugier und Direktheit anzugehen. Kinder haben keine Angst vor heiklen Fragen. Sie fragen nach Gehältern, nach Ängsten und nach berührenden Erlebnissen – Dinge, die Erwachsene vielleicht aus Höflichkeit oder Voreingenommenheit nicht ansprechen würden. Und sie bohren nach, wenn eine Antwort sie nicht zufriedenstellt. Die Offenheit und die unvoreingenommene Herangehensweise der Kinder erinnern die Profis daran, die grundlegenden Fragen des Journalismus nicht aus den Augen zu verlieren.

Das „Kinder-Tagi“-Projekt ist mehr als nur eine Zeitungsseite. Es ist ein Experiment, das zeigt, dass Journalismus für jeden zugänglich ist, unabhängig vom Alter. Es ist eine Brücke zwischen den Generationen, die Erwachsene daran erinnert, wie wichtig Neugier und Direktheit sind. Und es ist ein lebendiger Beweis dafür, dass die besten Geschichten oft die sind, die mit dem Herzen geschrieben werden – auch wenn sie von ganz kleinen Händen stammen.